Offener Brief zum “Bürgerforum: Vorstellung der gesammelten Bürgerempfehlungen” zur “Neuen Mitte Altona” (15.9.2011)

Liebe Stadtentwicklungsbehörde,
liebe Hamburgerinnen und Hamburger,
hallo Altona!

Haben wir ein Glück: Ein neuer Stadtteil ist in Planung – und wir dürfen uns einbringen. „Ihre Ideen sind gefragt“, ruft uns die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) zu. Nach einer turbulenten öffentlichen Veranstaltung zur „Mitte Altona“, bei der im Frühjahr 2011 den Politikern und Investoren der Wind hart ins Gesicht blies, rührte die BSU eilig einen „Bürgerdialog“ zusammen: Sechs Abende bzw. Workshops lang durfte ein „Interessiertenkreis“ tagen und „Empfehlungen“ erarbeiten, die in den Masterplan zur Entwicklung des 30 Hektar-Gebietes einschließen.
Oder auch nicht. Ein Mandat gibt es nämlich nicht für die Bürgerbeteiligung. Es sind ja eben bloß „Interessierte“, wie die BSU es umsichtig formuliert hat. Gleichzeitig ist der Senat eifrig bemüht, die Entwicklung des Ex-Bahngeländes als Dienst an der Allgemeinheit darzustellen: Bis zu 4000 neue Wohnungen sollen hier entstehen, schon 2012 soll es mit dem Bau der ersten 2000 losgehen. Eine Chance für die „zeitnahe Realisierung des dringend benötigten Wohnungsbaus“, wie Oberbaudirektor Jörn Walter erklärt?
Wir haben da unsere Zweifel. Unsere Informationen stützen eine andere These: Dass der Hamburger Senat es so eilig hat, den Masterplan zur „Mitte Altona“ zu verabschieden, ist nicht dem Wohnungsproblem geschuldet, sondern dient den Interessen der Investoren.[1] Mit einem Bebauungsplan – also nach Verabschiedung des Masterplans – würde sich der Wert des Geländes nämlich mehr als verdreifachen – die Dekontaminierung eingerechnet.

In Zahlen: Laut dem Gutachterausschuss für Grundstückswerte der Freien- und Hansestadt hat der erste Bauabschnitt als Industriegelände zurzeit noch einen Bodenwert von 31 Millionen Euro. Sobald das Gelände als Wohn- und Gewerbegebiet ausgewiesen ist, schnellt dieser Wert auf 112 Millionen Euro hoch. Zieht man davon die Dekontaminierungskosten von 17,5 Millionen Euro ab, die die Investoren zu tragen haben, bleiben immerhin 63,5 Millionen Euro Differenz – eine Wertsteigerung, die nur daher kommt, dass die Politik ein neues Baurecht schafft. Der Verkauf der zu bauenden Wohnungen würde den Investoren nochmal circa 125 Millionen Euro Gewinn bescheren.[2]

Sprich: Die Freie- und Hansestadt Hamburg beschert zwei globalen Playern mit ehemaligen Bahnflächen einen Geldsegen von rund 190 Millionen Euro. Und was gibt’s dafür? Es ist nämlich durchaus üblich, dass die Investoren für die Erteilung von Baurecht Grundstücke abtreten oder Ausgleichszahlungen zusagen. Nicht so im Falle von „Mitte Altona“: Laut Auskunft der Stadtentwicklungsbehörde haben Senat und Investoren eine Absichtserklärung unterschreiben lassen, die die Wertsteigerung so niedrig ansetzt, dass laut dieser Rechnung der Gewinn bereits durch die Dekontaminierung aufgefressen wird. Die Immobilien-Lobby hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet.
Ehrlich gesagt: Wir haben keine Lust, die Beteiligungs-Bürger zu spielen, während die Politik die Rendite der Investoren durchwinkt und damit garantiert, dass der neue Stadtteil vor allem eines wird: teuer. Wir wollen, dass die Bahnflächen in Altona auf eine Weise entwickelt werden, die die dort entstehenden Wohnungen und Gewerberäume zugänglich und bezahlbar hält.

KEINE BETEILIGUNG OHNE TEILHABE!
LUX & KONSORTEN SAGEN:
HER MIT DEN SCHÖNEN AUSGLEICHSFLÄCHEN!
FÜR EINE SOZIALQUOTE IN ALTONA MITTE!

1 Das Gelände im ersten Bauabschnitt gehört meheren Investoren: Der Aurelis Real Estate, eine 2002 aus dem Bahnvermögen ausgegliederte Gesellschaft zur Verwertung der für die DB „nicht betriebsnotwendigen Immobilien“ – heute gehört die Aurelis dem Baukonzern Hochtief (der wiederum zur spanischen Grupo ACS gehört) und dem kalifornischen Finanzfond Redwood Grove International. Für die 20 Mio Quadratmeter ehemaliger Bahnächen zahlten Hochtief und Redwood im Jahre 2006 rund 1,6 Milliarden Euro – also rund 80 Euro pro Quadratmeter. Das Gelände der Holstenbrauerei gehört dem dänischen Braukonzern Carlsberg. Durch Verkauf von Teilen des Holsten-Geländes sind weitere Investoren beteiligt, u.a. der Shopping-Mall-Gigant ECE, die Fraatz Bartels-Gruppe, Behrendt Wohnungsbau und Hammonia.

2 So die Einschätzung von Karsten Wagner, Architekt und Dipl. Kaufman der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, der 13 Jahre lang Gutachter im Gutachterausschuss für Grundstückswerte der FHH gewesen ist und uns
freundlicherweise mit diesen Zahlen versorgt hat.

Zu Lux & Konsorten – Nicht nur, aber auch Altona ist betroffen von dem, was man gemeinhin „Gentrizierung“ nennt: Günstige Wohnungen und bezahlbare Arbeits- und Gewerberäume verschwinden aus Altona-Nord, Altona-Altstadt, Bahrenfeld und Ottensen. Um dieser Entwicklung etwas entgegen zu setzen, hat sich „Lux & Konsorten“ gegründet – ein Netzwerk von Gewerbetreibenden, das sich ganz praktisch darum kümmert, dass man sich in Altona auch in Zukunft das Arbeiten leisten kann. In den letzten Monaten haben wir das in mehreren Aktionen zum Thema gemacht: Etwa am „Electrolux“-Gebäude an der Max-Brauer-Allee, ein ehemaliger Gewerbehof, der hochpreisigen Wohnungen weichen soll. Auf dem Gelände der ehemaligen Gewürzmühle in der Gaußstraße haben wir Hamburgs erste „Wem-gehört-das-hier?-Party“ gefeiert, um die Eigentümer des Areals zu ermitteln, das dort seit Jahren vor sich hin gammelt. Auf der Suche nach selbstverwalteten Arbeitsräumen zu bezahlbarem Geld sind wir durch Altona gezogen, haben Skandälchen gestreift, viel Blabla von Bezirkspolitikern gehört und sind schließlich am Bahnhof gelandet – auf dem Gelände, das einige die „Mitte Altonas“ nennen. An den Bürgerdialogen, Ideenworkshops oder Zukunftswerkstätten, die dieses Projekt begleiten, haben wir uns bewusst nicht beteiligt. Denn um zu wissen, dass in Altona bezahlbare Wohnungen und Gewerbeächen fehlen, brauchen wir keine Beteiligungskulisse. Statt Partizipation zu fordern, wollen wir eine materielle Basis für eine Beteiligung von unten
durchsetzen. Zwei Ansätze gibt es dazu. Zum einen die „Ausgleichsflächen“-Forderung – analog zu Stellplatzabgaben oder Grün-Flächenausgleich: Wenn ein Investor öffentlichen Raum, bezahlbaren Wohn- oder Arbeitsraum „versiegelt“, muss er Ausgleich in gleichem Maße bereitstellen. Zum anderen die Forderung nach einer Sozialquote bei Bauprojekten – also ein Anteil an der Investitionssumme, der für soziale Zwecke zu verwenden ist. Statt hobbymäßig mitzureden bei Vorhaben, über die letztlich Investoren entscheiden, wollen wir die Planung zugänglich für kollektive Projekte machen. Unsere „Agentur für
Ausgleich“ befindet sich in der Gründungsphase.
Lux & Konsorten suchen weiterhin nach geeigneten Objekten. Schließen Sie sich der Bewegung an.

14. September 2011 von crisb
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